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Globaler Artenschutz: »Ein gebrochenes Versprechen wäre eine schwere Bürde für die Zukunft«

Der Finanzminister will, dass der Bund 25 Milliarden einspart. Das droht zu Lasten des Biodiversitätsschutzes zu gehen. Olaf Scholz' Versprechen an die Weltgemeinschaft steht auf der Kippe, warnt Staatssekretär Jochen Flasbarth im Interview.
Mangroven
Mangrovensümpfe zählen zu den besonders wertvollen und zugleich bedrohten Landschaften, deren Schutz im Rahmen des Weltnaturabkommens gefördert wird. Deutschlands Beitrag könnte künftig schrumpfen, warnt Staatssekretär Flasbarth.

Um rund 25 Milliarden Euro soll der Bundeshaushalt 2025 nach aktueller Planung schrumpfen. Das sieht die aktuelle Haushaltsplanung von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) vor. Für Vorschläge, wie sie diese Sparvorgaben im eigenen Haus konkret umsetzen wollen, hat Lindner den Ministerinnen und Ministern der Ampelregierung eine Frist bis zum 2. Mai 2024 gesetzt. Mit ihren Einreichungen werden sich die Ressortchefs für die nun anstehenden Verhandlungen positionieren. Die eigentliche Haushaltsplanung muss erst im November abgeschlossen sein.

Sollte sich der Finanzminister durchsetzen mit seinen Einsparvorgaben, drohen herbe Einschnitte, zumal einige Ressorts schon deutlich gemacht haben, dass sie angesichts zahlreicher Krisen auf der Welt mehr statt weniger Geld brauchen. Das betrifft nicht nur das Verteidigungsministerium oder das Auswärtige Amt. Auch das Entwicklungshilfeministerium steht international im Rampenlicht, wenn es um Hilfe zur Bewältigung von Kriegen, Konflikten und den großen ökologischen Krisen unserer Zeit geht. (Nachtrag vom 3. Mai: Nach Informationen von Spektrum.de hat das Entwicklungsministerium in seinem Schreiben tatsächlich einen erhöhten Finanzbedarf angemeldet. Demnach solle der Haushalt um insgesamt rund eine Milliarde Euro gegenüber dem von 2024 auf das Niveau der Vorjahre steigen.)

Im Interview warnt der Staatssekretär im Entwicklungsministerium, Jochen Flasbarth, vor den Folgen eines strikten Sparkurses für den weltweiten Kampf gegen die Biodiversitätskrise, verteidigt die Finanzierung von Naturschutz in Ländern mit schwieriger Menschenrechtslage und nimmt Stellung zu Vorwürfen des Greenwashing gegen sein Ministerium.

Jochen Flasbarth | Der 62-jährige Sozialdemokrat war viele Jahre lang Staatssekretär im Umweltministerium. Mit Regierungsantritt der Ampelkoalition wechselte er mit Ministerin Svenja Schulze (SPD) als Staatssekretär ins Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Er ist seit Jahrzehnten entschiedener Verfechter von Klima- und Naturschutz und hat sowohl das Pariser Klimaabkommen wie auch das Weltnaturabkommen von Montreal mitverhandelt.

Das Foto zeigt ihn vor einem Bild des polnischen Künstlers Ryszard Wasko in seinem Büro im Ministerium.

Herr Flasbarth, jedes Jahr 1,5 Milliarden Euro für den Biodiversitätsschutz – das hatte Bundeskanzler Olaf Scholz den ärmeren Ländern im September 2022 am Rande der UN-Vollversammlung versprochen. Dafür wurde er international sehr gefeiert. Nun fordert Finanzminister Christian Lindner Einsparungen, durch die das Entwicklungsministerium ein Viertel seines Budgets verlieren könnte. Wackelt damit Scholz' Versprechen?

Mit diesen Forderungen wackelt alles – und damit natürlich auch die Biodiversitätsfinanzierung. 80 Prozent davon werden aus den Mitteln des Entwicklungsministeriums geleistet. Wenn die Mittel sinken, dann müssen sich die Partnerländer stärker entscheiden, in welchen Bereichen sie mit uns kooperieren wollen.

Das hieße, der Artenschutz könnte gegenüber anderen Bedürfnissen der Empfänger ins Hintertreffen geraten?

Ja. Je weniger Geld da ist, desto stärker ist die Konkurrenz für die Biodiversitätsfinanzierung. Die Entwicklungsländer haben zahlreiche andere Prioritäten, neben dem Erhalt von Ökosystemen und Artenvielfalt: Gesundheit, Bildung, Wirtschaftsförderung – das sind berechtigte Anliegen.

Deutschland ist einer der größten Geldgeber für den internationalen Naturschutz. Gleichzeitig sind seine Bürger auch beim Pro-Kopf-Verbrauch natürlicher Ressourcen ganz oben dabei. Tut Deutschland genug für den Erhalt der globalen Biodiversität?

Wenn Deutschland seine vom Bundeskanzler gegebene Zusage über 1,5 Milliarden Euro einhalten könnte, würde es seinen fairen Anteil zum Schutz der weltweiten Biodiversität leisten. Das Versprechen nicht zu halten, wäre darum eine schwere Bürde für die Zukunft unserer Kinder und Enkelkinder.

Es wäre aber auch ein schlechtes Signal an unsere internationalen Partner. Denn insgesamt sind wir als Staatengemeinschaft noch nicht auf dem richtigen Pfad. Wir haben uns alle in Montreal zur Renaturierung verpflichtet und wir können nur dann erwarten, dass sich andere an die Verpflichtungen halten, wenn wir es ebenfalls tun.

»Das Montreal-Ziel für 2025 wird auch beim besten Willen der Geberländer nur sehr schwer zu erreichen sein«

Sie spielen auf das Weltnaturabkommen von Montreal an. Darin hat die Staatengemeinschaft festgehalten, die Kosten für den Artenschutz fair aufzuteilen. Vereinfacht gesagt sollen reiche Länder die Schutzmaßnahmen in den ärmeren Ländern des globalen Südens finanzieren. Das war ebenfalls im Jahr 2022. Wie sehen Sie den Stand der Dinge?

Das Ziel für nächstes Jahr wird auch beim besten Willen der Geberländer nur sehr schwer zu erreichen sein, dafür war die Frist wohl zu kurz. Wichtiger erscheint mir, dafür zu arbeiten, das Ziel für 2030 zu erreichen.

Konkret geht es um jährliche Zahlungen von mindestens 20 Milliarden US-Dollar ab 2025. Ab 2030 soll der Betrag dann auf mindestens 30 Milliarden Dollar pro Jahr steigen.

Richtig. Wir haben in Montreal aber auch vereinbart, dass die Länder mit viel Naturreichtum selbst mehr Geld für dessen Erhalt aufbringen müssen. Wir müssen einerseits solidarisch sein, andererseits gibt es auch noch Potenziale in den Entwicklungsländern selbst, sich um ihre Biodiversität zu kümmern. Und es braucht die zusätzlichen Anstrengungen von allen, schließlich hängt davon auf lange Sicht das Überleben der Menschheit ab.

Als Existenzbedrohung ist heutzutage vielen Menschen der Klimawandel einigermaßen präsent. Die Biodiversitätskrise nicht so sehr. Sie haben internationale Verhandlungen zu beiden Themen geführt. Wird der Schutz der Natur vernachlässigt?

Ich würde es so formulieren: Das Verständnis für die Notwendigkeit von Biodiversitätsschutz war bis zur höchsten Ebene der Staats- und Regierungschefinnen und -chefs noch nie so groß wie heute. Es ist inzwischen den allermeisten klar, dass Umwelt und Natur nicht nur ein Nice-to-have sind, sondern dass es im Wortsinn um unsere Lebensgrundlagen geht. Da sehe ich über die doch ziemlich lange Zeit, während der ich mich mit dem Thema beschäftige, eine positive Entwicklung. Und das ist gut so! Richtig ist aber auch, dass das Handeln der Erkenntnis noch hinterherhinkt.

Sprich: Es mangelt an Geld?

Das auch. Aber es geht nicht nur ums Geld. Es ist eine Illusion, anzunehmen, dass man das alles mit Geld lösen kann. Man muss auch ordentliche Regeln und einen rechtlichen Rahmen setzen.

»Nach einem Jahrhundert der Zerstörung brauchen wir jetzt massive Investitionen in die Wiederherstellung der Natur«

In der EU droht ein solcher Rahmen gerade wieder zusammenzubrechen: Das Renaturierungsgesetz steht vor dem Scheitern, die Verordnung zur Verringerung des Pestizideinsatzes wurde wegen der Bauernproteste auf Eis gelegt …

Wir brauchen das Renaturierungsgesetz dringend. Nach einem Jahrhundert der Zerstörung brauchen wir jetzt massive Investitionen in die Wiederherstellung der Natur – nicht im romantischen Sinne unverfälschter Wildnis, sondern zur Wiederherstellung von Lebensräumen, die auch wirtschaftlich genutzt werden können. Der Erhalt von Ökosystemen und Artenvielfalt kann nicht allein auf die Länder des Südens abgewälzt werden.

Streit gibt es auch um die Frage, was die richtigen Maßnahmen eigentlich sind. Wiederaufforstung steht beispielsweise bei vielen ganz oben auf der Liste. Ein vom Entwicklungsministerium maßgeblich gefördertes Wiederaufforstungsprogramm in Afrika wurde von Fachleuten zuletzt massiv kritisiert: Mit dem Anpflanzen von Bäumen würden wertvollste Savannen im großen Stil zerstört. Unterstützen Sie Greenwashing?

Nein, wir unterstützen, dass auf bereits zerstörten Landschaften in Afrika wieder etwas wachsen kann. Unser Ziel ist dabei, dass wieder Landschaften entstehen, die auch für den Menschen einen Nutzen haben.

Das heißt, es geht eher um die Schaffung von Kulturlandschaft und nicht so sehr um ursprüngliche Wildnis?

Auch hier fahren wir keinen romantischen Ansatz: Die ursprüngliche Natur wird eher selten wiederhergestellt werden können. Viele Landschaften sind leider schon lange zerstört, es sind Nutzflächen für die dort lebenden Menschen. Mensch und Natur werden hier zusammen gedacht.

Das setzen wir übrigens gemeinsam mit unseren Partnern nicht nur bei Wäldern um, sondern auch bei anderen Ökosystemen. Ein großes Thema ist die Wiedervernässung von Mooren und die Wiederherstellung von Mangrovenwäldern. Aber all das darf natürlich nicht dazu führen, dass noch intakte Ökosysteme zerstört werden. Da gibt es keinen Dissens zwischen den Anliegen der Wissenschaftler und unserem.

Genau das wird Ihnen aber vorgeworfen.

Den Vorwurf gibt es und wir sind auch im Gespräch mit den Autorinnen dieser Studie. Wir teilen die Kritik in diesem Ausmaß nicht, wie übrigens auch andere Wissenschaftler. Die Aufforstung auf intakten Nicht-Wald-Ökosystemen, die der African Forest Landscape Restoration Initiative vorgeworfen wird, ist nach dem Regelwerk der Initiative ausgeschlossen.

Und das funktioniert auch?

Aus Erfahrung glaube ich, dass das überwiegend funktioniert. Aber ich will nicht ausschließen, dass es solche Fälle gibt. Und deshalb ist die Kritik wertvoll. Sie ist ein Anstoß, den Kritikpunkten mit unseren Partnern in Afrika nachzugehen. Wir müssen etwa die Monitoringsysteme weiter verbessern, um sicher sein zu können, dass es keine Fehlentwicklungen gibt.

Immer wieder tauchen auch Berichte auf über Menschenrechtsverletzungen in Schutzgebieten, die vom Entwicklungsministerium über den Naturerbe-Fonds mitfinanziert werden. In der Republik Kongo sollen Ranger in solchen Schutzgebieten Menschen gefoltert haben. Wie stellen Sie sich zu den Vorwürfen?

Wir nehmen alle Vorwürfe absolut ernst und dulden selbstverständlich keine Gewalt oder gar Menschenrechtsverletzungen. In Schutzgebieten, die über den Naturerbe-Fonds finanziert werden – aber nicht nur dort –, haben wir ein klares System zur strikten Achtung von Menschenrechten. Gerade für den Legacy Landscapes Fund wurde ein besonders fortschrittliches Menschenrechtskonzept entwickelt. Wir gehen Hinweisen auf Menschenrechtsverletzungen mit aller Konsequenz nach. Im konkreten Fall im Kongo untersucht eine international renommierte Kanzlei das Geschehene vor Ort und erarbeitet derzeit einen umfassenden Bericht.

Wenn die Einhaltung von Menschenrechten in den Naturerbe-Gebieten nicht garantiert werden kann, sollte man dann nicht lieber die Finanzierung einstellen?

Das hielte ich für grundfalsch. Ich fände es unverantwortlich, uns aus Angst vor der Kritik vom Schutz weltweit bedeutender Lebensräume zurückzuziehen. Was würde dann aus den Naturräumen? Und was aus den vielen Menschen, deren Lebensgrundlage das Schutzgebiet ist? Wir sind davon überzeugt, dass wir daran arbeiten müssen, Risiken zu vermindern, ohne die Menschen und die Natur dort aufzugeben. Wir müssen stattdessen ein gutes Vorbild für den Umgang mit den Problemen sein. Ganz wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass Naturschutz immer gemeinsam mit den indigenen Gemeinschaften umgesetzt wird. Der Schutz der einzigartigen Naturlandschaften ist bedeutend für die Menschen vor Ort und gleichzeitig für die ganze Erde. Und deshalb muss er fortgesetzt werden, ohne bei Problemen wegzugucken – und das tun wir auch nicht.

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